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Papst Johannes XXIII. und die Öffnung des Vatikans (1958–1963)
Ein Wendepunkt in der Geschichte der katholischen Kirche
Als Papst Johannes XXIII. 1958 zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt wurde, hielten ihn viele für einen „Übergangspapst“. Er war bereits 76 Jahre alt, sanftmütig im Auftreten und wurde nicht als Reformer eingeschätzt. Doch seine kurze Amtszeit (1958–1963) veränderte die katholische Kirche nachhaltig und leitete eine neue Epoche ein – geprägt von Dialogbereitschaft, Weltoffenheit und innerkirchlicher Erneuerung. Der Begriff „aggiornamento“, den er prägte, wurde zum Sinnbild für eine Kirche, die sich „verheutigt“ – also aktualisiert, ohne sich selbst zu verleugnen.
Der Mensch hinter dem Papst: Angelo Giuseppe Roncalli
Geboren 1881 in Italien, war Roncalli viele Jahre als Diplomat tätig, u. a. in Bulgarien, der Türkei und Frankreich. Diese Erfahrungen prägten seine weltoffene Sichtweise. Er hatte Kontakte zu Orthodoxen, Muslimen, Protestanten und Atheisten – eine Seltenheit für katholische Kirchenführer seiner Zeit. Diese Offenheit sollte sein Pontifikat prägen.
Der große Umbruch: Das Zweite Vatikanische Konzil
Am 25. Januar 1959 überraschte Johannes XXIII. die Welt mit der Ankündigung eines neuen ökumenischen Konzils – dem ersten seit fast 100 Jahren. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) sollte die Kirche nicht nur innerlich erneuern, sondern auch ihre Haltung zur modernen Welt grundlegend überdenken.
Sein Ziel war nicht, Lehren umzustürzen, sondern sie neu zu formulieren, damit sie den Menschen der Gegenwart verständlich und zugänglich werden. Die Kirche sollte nicht länger als Bollwerk gegen die Welt auftreten, sondern als begleitende Kraft, die auf Fragen, Zweifel und gesellschaftliche Herausforderungen eingeht.
Kernelemente der Öffnung
1. Versöhnung mit der modernen Welt
Johannes XXIII. wandte sich gegen die ablehnende Haltung vieler Vorgänger gegenüber Demokratie, Wissenschaft und gesellschaftlichem Wandel. Stattdessen forderte er: „Die Kirche muss die Zeichen der Zeit erkennen.“
2. Ökumene und Dialog
Er legte den Grundstein für einen neuen Umgang mit anderen Christen und Religionen. Juden wurden nicht mehr pauschal für den Tod Jesu verantwortlich gemacht, und Protestanten galten nicht mehr als Häretiker, sondern als „getrennte Brüder“. Der Vatikan trat in den Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen ein.
3. Laien und Mitwirkung
Er stärkte die Rolle der Laien in der Kirche und betonte ihre Mitverantwortung für die Evangelisierung und das Gemeindeleben.
4. Liturgische Reform
Unter seiner Leitung begann der Prozess, die Gottesdienste aus dem Lateinischen in die Volkssprache zu übertragen – ein Schritt mit großer Wirkung für das Glaubensleben der Menschen.
5. Soziale Gerechtigkeit und Friedensethik
Mit seinen Enzykliken „Mater et Magistra“ (1961) und „Pacem in Terris“ (1963) stellte Johannes XXIII. die Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und den Frieden ins Zentrum kirchlicher Lehre. Pacem in Terris war die erste Enzyklika, die nicht nur an Katholiken, sondern an alle Menschen guten Willens gerichtet war.
Wirkung bis heute
Papst Johannes XXIII. öffnete die Fenster der Kirche zur Welt – symbolisch wie real. Viele Entwicklungen, die heute in der katholischen Kirche selbstverständlich erscheinen, gehen auf ihn zurück: Gottesdienste in der Landessprache, ökumenische Begegnungen, soziale Positionierungen zu Gerechtigkeit und Menschenrechten.
Obwohl sein Pontifikat nur knapp fünf Jahre dauerte, wurde er zu einer Schlüsselfigur der modernen Kirchengeschichte. Papst Franziskus, der sich ebenfalls dem Dialog und der Bescheidenheit verpflichtet sieht, nennt Johannes XXIII. regelmäßig als Vorbild.
Fazit
Die Jahre 1958 bis 1963 markieren einen kulturellen und theologischen Umbruch, dessen Auswirkungen bis heute nachwirken. Johannes XXIII. war nicht nur ein Papst der Öffnung – er war ein Papst des Vertrauens, dass die Kirche im Geist Christi nicht Angst vor der Welt, sondern eine Botschaft für die Welt hat.
„Wir sind nicht aufgerufen, die Welt zu verurteilen, sondern sie zu lieben und zu retten.“
– Papst Johannes XXIII.